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Beschluss in einem Musterklageverfahren

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Landgericht Hamburg Beschluss 316 OH 3/16

In der Sache

der vom Hanseatischen Oberlandesgericht nach § 92 Abs. 2 KapMuG zu bestimmende Musterkläger

– Antragsteller –

gegen

Hansische Treuhand GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer suzanna Artmann,. Carsten Riemer, Palmaille 33, 22767 Hamburg

– Antragsgegnerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Pöllath + Partners, Potsdamer Platz 5, 10785 Berlin

beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 16 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Wandel, die Richterin am Landgericht Dr. Koops und die Richterin am Landgericht Paust-Schlote am 21.11.2016:

I. Dem Hanseatischen Oberlandesgericht werden gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterbescheids folgende Feststellungsziele vorgelegt:

1.

Der im April 2004 herausgegebene Prospekt zur „Zweiundfünfzigste IFH geschlossener Immobilienfonds für Holland GmbH & Co. KG“ (im Folgenden: Holland 52) ist unrichtig und unvollständig, soweit folgende Angaben nicht oder falsch dargestellt wurden:

1.1. Es ist nicht dargestellt worden, dass durch zeitgleiches Auslaufen des Mietvertrages und des Darlehensvertrages ein Insolvenzrisiko für die Fondsgesellschaft besteht. Die diesbezüglichen Darstellungen im Prospekt sind in mehrfacher Hinsicht unzureichend, falsch und unvollständig,

a) weil der Fondsprospekt nicht ausreichend darüber aufklärt, dass eine fehlende Anschlussvermietung oder das Fehlen eines Käufers zur Versagung einer Anschlussfinanzierung und damit zur Insolvenz des Fonds führt,

b) weil der Fondsprospekt nicht darüber aufklärt, dass die Realisierung dieses Risikos selbst bei prospektgemäßem Verlauf genauso wahrscheinlich war wie der prospektierte Verlauf.

1.2. Es ist nicht dargestellt worden, dass auch bei prospektgemäßem Verlauf der Beteiligung die Fondsgesellschaft nicht über genügend Liquidität verfügt, um im Fall, dass für eine Neuvermietung Revitalisierungsaufwand erforderlich wird, die anfallenden Revitalisierungskosten zu tragen, ohne dass zuvor die Immobilie verkauft und der Kaufpreis bezahlt wird.

1.3. Es ist fehlerhaft durch den Prospekt der Gesamteindruck erweckt worden, es handele sich bei der streitgegenständlichen Beteiligung um eine sichere, risikoarme Kapitalanlage. Der Prospekt klärt unzureichend, falsch und unvollständig lediglich darüber auf, dass das Risiko einer Renditeminderung bestehe, nicht jedoch über das Risiko eines teilweisen Kapitalverlustes bzw. der Insolvenz der Fondsgesellschaft.

1.4. Der Prospekt sichert fälschlich zu, dass bei der Prospekterstellung der IDW S4-Standard eingehalten worden ist.

1.5. Es ist nicht dargestellt worden, dass zwischen dem Verkäufer und dem Mieter der Fondsimmobilie zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung bestand.

2.

Die Antragsgegnerin ist im Hinblick auf die Beteiligungen an dem Fonds „Zweiundfünfzigste IFH geschlossener Immobilienfonds für Holland GmbH & Co. KG“ gegenüber den Anlegern Haftungsschuldnerin aus Prospekthaftung im weiteren Sinne.

3.

Die Antragsgegnerin hat durch die Verwendung des Prospekts schuldhaft nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne gehandelt.

II. Dieser Vorlagebeschluss ist gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich zu machen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller der diesem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Musterverfahrensanträge nehmen die Antragsgegnerin auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch.

Die Antragsteller beteiligten sich an der „Zweiundfünfzigste IFH geschlossener Immobilienfonds für Holland GmbH & Co. KG“. Die Fondsbeteiligung setzte den Abschluss eines Treuhand- und Verwaltungsvertrages mit der Antragsgegnerin, seinerzeit noch Hansische Treuhand Aktiengesellschaft, voraus. Die Antragsgegnerin wird als Gründungsgesellschafterin und Treuhandkommanditistin von den Antragstellern in Anspruch genommen.

Gegenstand der Anlage ist eine Büroimmobilie in Amsterdam Zuidoost mit einer Mietfläche von 29.125 qm, die langfristig vermietet war und nach einer Laufzeit von 10 Jahren veräußert werden sollte. Aus den Mieteinnahmen sollten die laufenden Kosten für Instandhaltung, Versicherungen, Zinsen und ggf. Tilgung der aufgenommenen Fremdmittel bedient werden. Die geplanten Einnahmenüberschüsse sollten der Bildung von Reserven und den jährlichen Ausschüttungen der Anleger dienen.

Grundlage des Beteiligungsangebots ist der in den jeweiligen Ausgangsverfahren als Anlage K 2 eingereichte Emissionsprospekt. Die Antragsteller halten diesen Prospekt aus einer Vielzahl vom Gründen für fehlerhaft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der – gleichlautenden – Musterverfahrensanträge Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig.

1. Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über die Musterverfahrensanträge nach § 6 Abs. 2 KapMuG zuständig, weil ausweislich des Klageregisters beim Landgericht Hamburg der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag gestellt wurde.

Es sind bislang laut Klageregister insgesamt 10 gleichgerichtete Musterverfahrensanträge in den folgenden Ausgangsverfahren anhängig und bekannt gemacht worden, wobei insoweit die drei ersten Musterverfahrensanträge mit Eingangsstempel vom 11.11.2015 beim Landgericht Hamburg eingegangen sind:

316 O 111/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 11.11.2015, Faxeingang 13.52 Uhr)

316 O 121/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 11.11.2015, Faxeingang 14.15 Uhr)

316 O 189/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 11.11.2015, Faxeingang 14.21 Uhr)

316 O 95/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 3.2.2016)

316 O 117/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 3.2.2015)

302 O 77/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 17.2.2016)

316 O 158/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 19.2.2016)

316 O 100/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 22.2.2016)

Landgericht Frankfurt 2- 10 O 101/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 23.8.2016)

302 O 81/15 (Musterverfahrensantrag Eingang 26.8.2016)

Die Zivilkammer 16 ist innerhalb des Landgerichts Hamburg für den Vorlagebeschluss zuständig, da der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag bei der Zivilkammer 16 eingegangen ist.

Hinsichtlich der Besetzung der Kammer ist auf § 75 GVG zu verweisen. Die §§ 348, 348a ZPO gelten nur für das Erkenntnisverfahren und finden auf das Vorlageverfahren keine (entsprechende) Anwendung, vgl. dazu Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 48.

2. Der Musterverfahrensantrag ist statthaft, denn die von den jeweiligen Antragstellern geltend gemachten Anträge fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG. Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG sind insbesondere Ansprüche musterverfahrensfähig, welche sich auf falsche oder irreführende Kapitalmarktinformationen stützen. Um solche Ansprüche handelt es sich vorliegend, da die Antragsteller ihre Klagen auf die Rechtsprechungsgrundsätze zur Prospekthaftung im weiteren Sinne (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) stützen und die geltend gemachten Pflichtverletzungen der Antragsgegnerinnen gerade damit begründen, dass der Emissionsprospekt falsch, unvollständig und irreführend sei. Die insoweit in Bezug genommene vorvertragliche Aufklärungspflicht wird in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich als geeigneter Anwendungsfall von § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG genannt, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S.16.

3. Die Voraussetzungen des § 2 KapMuG sind gewahrt. Insbesondere besteht auch eine Bedeutung über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus im Sinne von § 2 Abs. 3 S. 2 KapMuG.

4. Hinsichtlich der Feststellungsziele sind die Anforderungen des § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG an den Musterfeststellungsantrag erfüllt. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG muss der Musterfeststellungsantrag die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. An die Erfüllung dieser formalen Voraussetzungen dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Unzulässigkeit des Antrags wegen Missachtung von § 2 Abs. 3 KapMuG ist daher nur dann zu bejahen, wenn der Antrag entweder hierzu überhaupt keine Angaben enthält oder auch durch Auslegung nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Umstände und/oder Beweismittel nach Ansicht des Antragstellers für welches Feststellungsziel von Relevanz sein sollen, vgl. Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 2 Rn. 84. Hinsichtlich der Feststellungsziele enthält der Antrag Angaben zu den maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen, außerdem werden die Beweismittel bezeichnet, derer sich die Antragsteller zum Nachweis ihrer Behauptungen bedienen wollen. Durch die Vorlage des Prospektes ist auch unabhängig von seinem Veröffentlichungsdatum zweifelsfrei klar, auf welchen Prospekt sich die Antragsteller beziehen.

5. Die Voraussetzungen einer Verwerfung des Antrags als unzulässig nach § 3 Abs. 1 KapMuG liegen nicht vor. Das Prozessgericht verwirft den Musterverfahrensantrag durch unanfechtbaren Beschluss lediglich dann gem. § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig, soweit die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, die angegebenen Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele ungeeignet sind, nicht dargelegt ist, dass eine Bedeutung für andere Rechtsstreitigkeiten gegeben ist oder der Musterverfahrensantrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist.

a) Der Antrag ist im vorliegenden Fall nicht gemäß § 3 Abs. 3 KapMuG deswegen unzulässig, weil die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhinge. Zwar hat die Antragsgegnerin sich in den bei der Zivilkammer 16 anhängigen Verfahren jeweils auf Verjährung berufen, weil die nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB laufende Verjährungshöchstfrist von 10 Jahren nach der Entstehung des Schadensersatzanspruchs nicht rechtzeitig durch die Veranlassung der Bekanntgabe des Güteantrags nach § 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB gehemmt worden sei. In den einzelnen Verfahren wurde jedoch im Rahmen der Bekanntmachungsbeschlüsse bereits ausführlich begründet, weswegen die Kammer nach einer durchgeführten Beweisaufnahme jeweils nicht von dem Eintritt der Verjährung ausgeht. Im Übrigen ist die Frage, ob die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG nicht von den Feststellungszielen abhängt, abstrakt zu beurteilen. Für die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängen kann. Die für den Erfolg der Klage darüber hinaus maßgeblichen tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen müssen nicht abschließend geklärt sein. Entscheidungsreife im Übrigen ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung des Musterverfahrens. Die Prüfung der individuellen Anspruchsvoraussetzungen kann nach Abschluss des Musterverfahrens erfolgen (vgl. LG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2013, 2-12 OH 4/13, zitiert nach juris, Rn. 32 f.; Kruis in: Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage, 2014, § 3 Rn. 40).

b) Der Antrag auf Durchführung des Kapitalanleger-Musterverfahrens ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch nicht gem. § 3 Abs. 1 Ziffer 4 KapMuG deswegen unzulässig, weil er einzig zum Zweck der Prozessverschleppung gestellt worden wäre. Die Antragsgegnerin hat insoweit nur vorgetragen, die Verfahren seien bereits aufgrund des richtigen und vollständigen Prospekts abweisungsreif.

Zwar ist davon auszugehen, dass die Durchführung des Musterverfahrens in einzelnen der vorliegend anhängigen Ausgangsverfahren objektiv zu einer Verfahrensverzögerung führen wird. Dies ergibt sich u.a. schon daraus, dass seit der Veröffentlichung der Bekanntmachung der Musterverfahrensanträge einige Monate verstrichen sind, bis jetzt die erforderliche Anzahl gleichgerichteter Anträge für eine Vorlage an das Hanseatische Oberlandesgericht erreicht wurde. Diese Verzögerung ist der Antragsgegnerin jedoch zuzumuten. Der Gesetzgeber hat es bei der Einführung des Musterverfahrens bewusst in Kauf genommen, dass einzelne Verfahren länger dauern, um soweit wie möglich einheitliche Entscheidungen zu ermöglichen und bei Streuschäden das Kostenrisiko der Beweisaufnahme für einzelne Kläger zu begrenzen. Will ein Antragsteller diese vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit ausnutzen, so ist dem Antragsgegner nach der gesetzlichen Wertung eine nie auszuschließende Verzögerung des Verfahrens zuzumuten (vgl. Kruis in: Kölner Kommentar zum KapMuG, a.a.O., § 3 Rz. 84). Auch der Umstand, dass der Musterverfahrensantrag in einzelnen Verfahren erst längere Zeit nach der Klagerhebung gestellt wurde, begründet daher grundsätzlich keine Unzulässigkeit des Antrags wegen Prozessverschleppung (Kruis in Kölner Kommentar zum KapMuG, a.a.O., § 3 Rz. 90).

Rechtsbehelfsbelehrung

Dieser Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG.

Wandel Dr. Koops Paust-Schlote
Vorsitzende Richterin am Landgericht Richterin am Landgericht Richterin am Landgericht

 


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